Schmidt Der andere Bezug

Gute Totengeister in Weltliteratur, Wissenschaft und Religion.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2022, 40 € (400 Seiten)

Bertram Schmidt ist promovierter Philosoph. Er war einige Jahre Mitarbeiter an der Universität der Künste in Berlin und hat Bücher und Aufsätze zu kunstgeschichtlichen und philosophischen Themen geschrieben. In seinem Buch Der andere Bezug wendet er sich der Thematik der Nachtod-Kontakte zu. Im Vorwort erwähnt er den Traum einer Tante, der ihn beschäftigt hatte und der den Anstoß für eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema gab. „Eines Nachts träumte meine Tante von ihrem längst verstorbenen Vater, meinem Großvater. Sie hatte, so erzählte sie, sonst nie von ihm geträumt und überhaupt keine besonders enge Beziehung zu ihm gehabt. Jetzt erschien er ihr im Traum ganz deutlich. Er trug den Mantel, den er zu Lebzeiten oft getragen hatte, und winkte ihr freundlich zu. Ihre Mutter, meine Großmutter, die damals bei ihr wohnte, starb am darauffolgenden Tag im Haus meiner Tante durch plötzlichen Herzstillstand während des Mittagsschlafes, ohne vorausgehendes Krankenlager.“

Bertram Schmidt überlegt, ob der Traum nicht bedeute, dass die Seele des Großvaters zugegen war, als seine Frau starb. Dann würde der Traum die Vorstellung bestätigen, dass Sterbende im Tod von nahestehenden, ihnen voraufgegangenen Angehörigen abgeholt werden. Könnte man dann nicht annehmen, dass Seelen Verstorbener „um uns“ sind und zumindest in gewissen Momenten als „gute Geister“ für Lebende wirken können? Das ist das Thema des Buches. Schmidt geht es aus vielfältigen, wissenschaftlichen und historischen Perspektiven an. Er referiert im ersten Teil die Diskussion in der Parapsychologie und konstatiert eine neue Stufe der Auseinandersetzung mit Totenerscheinungen, in deren Mittelpunkt die Trostvisionen stehen.

Das klassische Werk in dieser Hinsicht ist das Buch „Trost aus dem Jenseits“, in dem Bill und Judy Guggenheim eine große Zahl von Erlebnisberichten ausgewertet haben. In früheren parapsychologischen Forschungen hatten solche Berichte kaum eine Rolle gespielt, weil ihnen keine Beweiskraft hinsichtlich der Existenz des Jenseits zugebilligt wurde. Wie sich die Sicht der Dinge verändert hat, erläutert Schmidt ausgehend von Heiner Schwenkes Buch „Transzendente Begegnungen. Phänomenologie und Metakritik“. Nach Schwenke geht es nicht mehr darum, die „Überlebenshypothese“ zu beweisen. Stattdessen werden die Begegnungen mit Verstorbenen und ihre Auswirkungen in den Mittelpunkt gestellt. Begegnungen sind eines Beweises weder fähig noch bedürftig. Ihre Echtheit und persönliche Bedeutung können nur von den Betroffenen selbst beurteilt werden.

Im zweiten Teil beschäftigt Bertram Schmidt sich in zwei großen Kapiteln mit Totengeistern in der chinesischen und japanischen Literatur vergangener Jahrhunderte. Dabei wird die große Bedeutung deutlich, die Kontakten mit Verstorbenen beigemessen wurden. Die ursprüngliche Religion Chinas war eine „Religion der Toten“ (111), in deren Mittelpunkt der Ahnenkult stand. Viele literarische Schilderungen sind zwar märchenhaft. In anderen wird aber „ein Kern paranormaler Erfahrung“ sichtbar. Schmidt erwähnt als Beispiel die Geschichte von zwei befreundeten Junggesellen, von denen der eine früh starb. Im Jahr nach seinem Tod erschien er dem Freund und redete ihn mit den Worten an: „Unglücklicherweise verstarb ich früh, und meine Gedanken verweilen unablässig bei dir.“ (112) Man nahm an, dass sich Geister in das Leben der Menschen einmischen. Mörder mussten damit rechnen, vom Geist ihrer Opfer verfolgt zu werden. Es gab auch Kritik und Warnungen, sich allzu sehr auf die Geisterwelt einzulassen. Es sollte ausgeschlossen werden, dass es im Rahmen mediumistischer Rituale zu einer Besessenheit kommt. „Wer sich mit den Geistern einlässt, wird von ihnen besessen.“ (120)
Im letzten Teil des Buches geht Schmidt auf Totenerscheinungen im Mittelalter ein und untersucht, inwieweit in der katholischen Kirche auch Heiligen die Funktion von Schutzgeistern zugeschrieben wurde. Insgesamt gesehen handelt es sich um ein gut geschriebenes, spannend zu lesendes Buch, dass die Thematik der Nachtod-Kontakte aus einer weitgefächerten Perspektive beleuchtet. Der Inhalt des Buches, schreibt Schmidt zurecht, zeige die „weltweite Verbreitung und anthropologische ‚Normalität“ transzendenter Erscheinungen auf. Das Buch ist mit fast 400 Seiten umfangreich und, von daher verständlich, mit 40 Euro nicht ganz billig.

Joachim Nicolay

 

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